Digitale Gewalt im Fokus: Prävention, Empowerment und Unterstützung in migrantischen Verbänden
Migrantische Verbände und Vereine berichten zunehmend von Anfeindungen und Gewalterfahrungen in Netz. Als Teil unseres Dossiers zum Themenkomplex Sicherheit haben wir mit Judith Strieder von der Organisation HateAid gesprochen. In diesem Blogbeitrag berichtet Judith von ihrer Erfahrung in der Betroffenenberatung und gibt Informationen und Tipps, wie Verbände und Vereine digitaler Gewalt effektiv begegnen können.
Erfahrt wie Ihr durch gezielte Sicherheitsvorkehrungen, einen gut durchdachten Krisenplan und passende Unterstützungsangebote die Sicherheit und das Wohlbefinden Eurer Mitglieder schützen könnt. Ein koordiniertes und bewusstes Vorgehen auf Verbandsebene stärkt nicht nur die Resilienz, sondern trägt auch dazu bei, digitale Gewalt zu verhindern und im Ernstfall angemessen zu reagieren.
Interview zwischen Norina Pommerening vom VAMOs-Team und Judith Strieder, Betroffenenberaterin bei HateAid.
Judith, danke, dass du heute hier bist. Was genau versteht man unter digitaler Gewalt?
„Digitale Gewalt“ ist ein Sammelbegriff, der eine Vielzahl von Handlungen umfassen kann. Digitale Gewalt kann sowohl online als auch offline stattfinden. Dazu können zum Beispiel Straftatbestände wie Beleidigung, Verleumdung, Bedrohung und Erpressung gehören. Ebenso fallen Phänomene, wie das Doxing [absichtliches Veröffentlichen privater Informationen ohne Zustimmung] und bildbasierte sexualisierte Gewalt, die das Verschicken und Veröffentlichen intimer Bilder oder Deepfakes [künstlich erstellte Bilder oder Videos von Personen] darunter. Diese Formen der Gewalt können erhebliche psychische Belastungen verursachen, die genauso ernst genommen und behandelt werden müssen wie analoge Gewalterfahrungen, da die Psyche keinen Unterschied zwischen der analogen und der digitalen Welt machen kann.
Bei VAMOs unterstützen wir migrantische Verbände und Vereine. Welche Phänomene sind in deiner Erfahrung hier besonders relevant?
Rassistisch motivierter Hass und Hetze sind da oft die Hauptthemen. Teilweise arbeiten in diesen Strukturen viele Menschen mit internationaler Geschichte, die persönlich von Anfeindungen betroffen sein können. Häufig werden Personen auch zur Projektionsfläche und somit zur Zielscheibe, wenn sie sich in migrantischen Verbänden engagieren oder arbeiten. Eine Besonderheit ist auch die etwas erhöhte Gefahr der analogen Bedrohung für die Mitarbeitenden, wenn Adressen der Verbände öffentlich zugänglich sind.
Was können migrantische Verbände präventiv tun, um digitaler Gewalt vorzubeugen und besser gegen sie aufgestellt zu sein?
Es gibt mehrere präventive Maßnahmen, die Verbände ergreifen können, um sich und ihre Mitarbeitenden zu schützen:
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- Trennung von privaten und beruflichen Kontaktdaten: Mitarbeitende und Ehrenamtliche sollten spezifische E-Mail-Adressen und Telefonnummern für ihre Arbeit nutzen. Das hilft, die Privatsphäre zu wahren und die persönliche Sicherheit zu erhöhen. Private Informationen sollten nicht leicht zugänglich sein, um das Risiko von Angriffen zu minimieren.
- Minimierung des Risikos eines analogen Übergriffs: Informationen, die auf Plattformen wie LinkedIn oder auf der Website des Vereins veröffentlicht werden, sollten sorgfältig geprüft werden. Es kann ratsam sein, die Adresse des Büros oder Veranstaltungsorte nicht öffentlich zugänglich zu machen, wenn das nicht unbedingt erforderlich ist. Verbände können überlegen, ob Klarnamen und Bilder ihrer Mitarbeitenden wirklich notwendig sind.
- Anbieten von Hilfsangeboten: Verbände können über digitale Gewalt aufklären und wenn möglich auch an Workshops teilnehmen. Ein kurzer Draht zu Beratungsstellen und Supervisionsangeboten gerade für Ehrenamtliche sind auch empfehlenswert, gerade wenn akut Unterstützung gebraucht
- Erstellung eines Krisenplans im Verband: Ein Krisenplan auf Verbandsebene ist ein zentrales Instrument, um im Falle digitaler Gewalt schnell und koordiniert reagieren zu können. Es ist wichtig, dass der Verband im Vorfeld spezifische Maßnahmen definiert, die im Krisenfall umgesetzt werden. Dazu gehört die Festlegung von Verantwortlichkeiten, die Identifikation von internen und externen Ansprechpersonen sowie die Bereitstellung von psychologischer Unterstützung.
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Kannst Du nochmal näher auf den Krisenplan eingehen? Wie kann ich mir das in einem migrantischen Verband vorstellen?
Die Ausarbeitung eines Krisenplans ist sehr individuell und kann sich von Verband zu Verband stark unterscheiden. Er sollte anschlussfähig mit den spezifischen Gegebenheiten des jeweiligen Verbands gedacht werden. Als allgemeine Hinweise können Verbände allerdings einige Dinge beachten:
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- Gefahrenszenarien: Es ist ratsam sich Zeit zu nehmen und sich als Team gedanklich in eine Krise zu versetzen und zu überlegen: Was ist das Schlimmste, was passieren könnte? Was sind potenzielle Gefahrenszenarien für den Verband?
- Umgang: Mit den Gefahrenszenarien, sollte man sich dann gemeinsam überlegen, welche konkreten Schritte notwendig wären, um mit der Situation umzugehen. Es ist auch sinnvoll, die Schritte für mehrere Szenarien durchzudenken und anzupassen.
- Krisenteam: Man sollte auch Rollen verteilen. Das ist natürlich auch von Verband zu Verband unterschiedlich, es gibt aber einige Hinweise, die man zur Orientierung nutzen kann. Die betroffene Person sollte sich zunächst zurückziehen können und von anderen Personen Unterstützung bekommen. Wer koordiniert die Krise und behält den Krisenplan im Blick? Wer kümmert sich um die analoge und digitale Sicherheit? Wer übernimmt gegebenenfalls die Kommunikation nach außen? Wer kontaktiert eventuell Beratungsstellen oder die Polizei?
Zuletzt ist es wichtig, diese Überlegungen schriftlich festzuhalten und allen Mitarbeitenden leicht zugänglich zu machen. Mit einem Krisenplan ist man besser vorbereitet, bleibt im Krisenfall handlungsfähig und kann ein Mindestmaß an Kontrolle bewahren.
HateAid hat einen Leitfaden für die Entwicklung eines Krisenplans für kommunalpolitisch Aktive entwickelt. Hier können aber auch migrantische Verbände Inspiration dazu finden, wie sie ihren Krisenplan gestalten können.
Wie können Verbände über das Thema aufklären und ihre Mitglieder sensibilisieren?
Verbände sollten nicht in Panik verfallen, aber dennoch präventiv gut aufgestellt sein. Sensibilisierungsmaßnahmen könnten in den normalen Arbeitsablauf integriert werden, etwa durch Workshops zu Beginn einer Tätigkeit oder regelmäßige Fortbildungen. Informationsmaterialien und Schulungen zu sicherem Online-Verhalten sollten regelmäßig aktualisiert und angeboten werden.
Vielen Dank, Judith, für Deine Zeit und die wertvollen Ratschläge.
Im nächsten Teil des Dossiers zum Themenkomplex digitale Gewalt wird es um den individuellen Umgang mit digitaler Gewalt gehen. Judith Strieder wird uns hier spannende Einblicke und Tipps geben, wie Mitarbeitende persönlich damit umgehen können.
Seid Ihr betroffen von digitaler Gewalt? HateAid hilft Betroffenen. Das Angebot ist nicht kostenpflichtig.
Kurzbiografie zu Judith Strieder:
Judith Strieder ist ausgebildete Psychologin und seit zwei Jahren als Betroffenenberaterin bei HateAid tätig. Judith Strieder unterstützt Betroffene digitaler Gewalt durch präventive und akute Beratung, wobei sie sich auf emotionale Stabilisierung, Sicherheitsberatung und Kommunikationsstrategien spezialisiert. HateAid setzt sich für Menschenrechte im digitalen Raum ein. Die Organisation engagiert sich auf gesellschaftlicher wie politischer Ebene gegen digitale Gewalt und ihre Folgen. Sie erarbeitet konkrete Lösungen zur Stärkung demokratischer Grundwerte im digitalen Raum. Zudem bietet HateAid Prozesskostenfinanzierung in ausgewählten Fällen an und organisiert Vorträge sowie Workshops, um das Bewusstsein für digitale Gewalt in der Öffentlichkeit und bei Strafverfolgungsbehörden zu schärfen.